Zyklusbewusstsein

weit über das Private hinaus

Die Tatsache, dass Frauen (bzw. Menschen mit einer Gebärmutter) zyklische Wesen und von den täglichen hormonellen Veränderungen beeinflusst sind, geht weit über das eigene Badezimmer hinaus.

In der Arbeitswelt

Eine niederländische Studie aus dem Jahr 2019 ergab, dass Menstruationsbeschwerden für 22 % der Fehltage von erwerbstätigen Frauen verantwortlich sind. Im Fokus der Menstruationsbeschwerden (MRS – menstruation-related sypmtoms) standen hierbei Menstruationskrämpfe, starke Blutung sowie ausgeprägte Stimmungsschwankungen. Interessanter Weise ergab die Studie außerdem, dass der Produktivitätsverlust, der sich aus den MRS ergibt, 7 Mal höher ist, wenn die Menstruierenden trotzdem zur Arbeit gehen (Präsentismus) anstatt zu Hause zu bleiben (Absentismus) und sich bewusst zu schonen. Zu behaupten, dass Frauen während „ihrer Tage“ entspannt zuhause auf der Couch liegen und sich die Fußnägel lackieren, ist dabei absurd und völlig fehl am Platz. V.a. wenn man bedenkt, dass die von Beschwerden Geplagten häufig im Nachhinein versuchen, den Produktivitätsverlust auszugleichen oder diesen sogar „überkompensieren“. Dieser zusätzliche Stress wiederum kann dazu führen, dass sich die  Menstruationsbeschwerden im nächsten Zyklus verstärken. Dies ergab eine Studie von 2019, die die Einflussfaktoren auf das Prämenstruelle Syndrom untersuchte. Die Katze beißt sich also in den Schwanz!

Vor diesem Hintergrund: Alle Arbeitgeber:innen und Führungsverantwortliche aufgepasst! Der aktuelle Fehlzeiten-Report 2022 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt, dass Beschäftigte, die ihrer Firma eine hohe Sozialverantwortung bescheinigen, im Verlauf eines Jahres 4,5 Tage weniger Fehltage aufweisen, als Beschäftigte, die die Unternehmensverantwortung als schlecht einstuften. Und on top kommt: Angestellte, die ihrer Firma eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung bescheinigen, weisen eine deutlich höhere Motivation, Unternehmensverbundenheit und Arbeitszufriedenheit. So viel zum Thema MITARBEITERBINDUNG und FACHKRÄFTEMANGEL 😉

In der Medizin

Frauen sind medizinisch häufig benachteiligt. Denn die Geschlechtsspezifik ist in vielen Bereichen der Medizin noch nicht ausreichend untersucht. Dies liegt unter anderem an der der sogenannten gender data gap, also der „geschlechtsspezifischen Daten-Lücke“. Aber auch an einem mangelnden Problembewusstsein.

Ein Beispiel: Ein Stechen in der linken Brust, der Schmerz strahlt in den linken Arm aus. Nicht nur bei Ärzten, auch bei vielen Laien klingeln bei diesen Anzeichen für einen Herzinfarkt die Alarmglocken. Doch bei Frauen gestalten sich die Warnhinweise ganz anders: Kurzatmigkeit bis Atemnot, Schweißausbrüche, Rückenschmerzen, Übelkeit bis Erbrechen. Da die Symptomatik bei Frauen so breit gefächert ist und selbst ärztliches Personal hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Unterschiede nicht ausreichend geschult ist, werden die Beschwerden oftmals fehlgedeutet. Gemäß einer Studie des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung verzögert sich dadurch die ärztliche Notfallversorgung bei Frauen über 65 Jahre um durchschnittlich eine Stunde im Vergleich zu Männern im gleichen Alter.

Gender data gap: In den 1960er Jahren hatten viele, auch schwangere Frauen das Beruhigungsmittel Contergan eingenommen, das zu schweren Fehlbildungen bei Neugeborenen führte. Als Konsequenz aus dem Skandal durften Frauen im gebärfähigen Alter in Deutschland viele Jahre nicht an Studien teilnehmen. Seit 2004 ist es in Deutschland zwar verpflichtend, dass klinische Studien mögliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern untersuchen. Doch da Studien häufig im Ausland oder über mehrere Länder verteilt durchgeführt werden, gibt es immer noch eine Vielzahl an Studien, in denen Geschlechterunterschiede zu wenig berücksichtigt werden. Zudem fehlt es bei Arzneimitteln, die schon lange zugelassen sind, an – nachträglich erhobenen – Daten hinsichtlich ihrer geschlechtsspezifischen Wirksamkeit.

Dabei gibt es bei Männern und Frauen enorme Unterschiede in der Wirkung und Nebenwirkung von Therapien und Medikamenten. Diese Unterschiede ergeben sich durch geschlechtsspezifische körperliche Abläufe und natürlich durch den Einfluss der Geschlechtshormone. So beeinflussen Östrogene, Progesteron und Testosteron die Verstoffwechselung von Medikamenten – die sogenannte Pharmakokinetik. Auf Frauen einfach die vorhandenen Erkenntnisse in gleicher Weise wie bei Männern anzuwenden, kann unter Umständen schwerwiegende Folgen haben.

In der Forschung

Verkehrssicherheit: Eine amerikanische Studie aus dem Jahre 2011 ergab, dass Frauen bei Autounfällen bis zu 47% häufiger schwere oder gar tödliche Verletzungen erleiden als Männer. Wie sicher Gurte und Airbags im Falle eines Unfalls sind, hängt laut Unfallforschern unter anderem mit der Anatomie zusammen. Weibliche Körper haben zum Beispiel einen anderen Schwerpunkt als männliche, was die Kräftewirkung bei einem Aufprall beeinflusst. Der durchschnittliche Crash-Test-Dummy weist den Körperbau eines durchschnittlichen Mannes auf: 1,75 Meter groß und etwa 78 Kilo schwer. Es gibt mittlerweile auch weibliche Dummys. Diese werden allerdings den Besonderheiten eines weiblichen Körpers, z.B. auch im Falle einer Schwangerschaft, nicht gerecht, kritisieren einige Expert:innen.

Quellen